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Die Zukunft der Stadt

  • Pia Gertler, Paul Marx, Erik Thyselius
  • 12. Sept. 2012
  • 4 Min. Lesezeit

Immer mehr Menschen ziehen in die Städte. Laut einer UNO-Prognose werden in 50 Jahren mehr als zwei Drittel der Weltbevölkerung in Städten leben. Der Urbanisierungsprozess ist ein globales Phänomen, das große Herausforderungen an Verwaltung, Politik und Bewohner der Städte stellt. Wie wir unsere Städte organisieren, wie wir sie grüner und lebenswerter machen, gehört zu den Schlüsselfragen der Zukunft. Schweden hat diese Thematik schon seit einigen Jahren in den Blick genommen und auch als Chance für die Wirtschaft begriffen. Das stark wachsende Stockholm war bereits 2010 die erste grüne Hauptstadt Europas. Und das zentrale Vermarktungs- und Vernetzungs-programm für schwedische Umwelttechnik weltweit hat nicht umsonst den sprechenden Namen SymbioCity. Das Land möchte in Fragen der umweltgerechten Stadtentwicklung vorangehen und gezielt neue Techniken entwickeln und erproben. Genau das geschieht in zwei spannenden Projekten in Göteborg und Stockholm. Göteborg- das Kvillebäcken-Projekt

Kvillebäcken, ein kleiner Ort bei Göteborg, setzt neue Maßstäbe im Bereich Nachhaltigkeit und Energieeffizienz beim Städtebau. Die “River City“ wird geplant und koordiniert von der Entwicklungsgesellschaft Älvstranden Utveckling AB, die sich aus sieben verantwortlichen Baufirmen zusammensetzt. Die Vision für den neuen Stadtteil mit 2000 Wohnungen sowie zahlreichen Büros, Restaurants und Geschäften fasst die Ziele dieser Entwickler zusammen. Sie wollen Kvillebäcken in eine Vorzeigestadt für soziale, ökonomische und ökologische Nachhaltigkeit verwandeln. Doch sind das nicht nur schöne Ideen ohne ein handfestes Konzept? Dem widerspricht die Umweltkoordinatorin der Entwicklungsgesellschaft Erica Bengtsson. „Das Konsortium setzt sich dafür ein, Kvillebäcken konsequent nach den anspruchsvollen neuen Umwelt-Anforderungen der Stadt Göteborg zu gestalten. Es hat ein Programm aufgestellt, nach dem diese Vision eine genaue Form bekommt und die Fragen bezüglich der Nachhaltigkeit auf eine Ebene bringt, auf der sie praktisch durchführbar wird“, erklärt Bengtsson. Verkehr und Bebauung in Kvillebäcken sind so angelegt, dass man auf die Nutzung eines PKW nicht angewiesen ist. Arbeiten, Einkaufen und Leben sollen eng beieinander liegen. Radwege, Radpools und viele Rad-Parkplätze animieren zur Nutzung der umweltfreundlichen Zweiräder. Alle Neubauten werden nach ökologischen Gesichtspunkten geplant, sind also energieeffizient, begrünt, nutzen das Regenwasser und verwenden gesunde Baustoffe.

Sechs konkrete Detailprojekte konnten durch staatliche Unterstützung finanziert werden. So sollen die Emissionen, die von einem fernwärmebeheizten Haus ausgestoßen werden, stark reduziert werden. Dafür sollen neue Technologien ermöglichen, die tageszeitlichen Schwankungen des Fernwärmebedarfs auszugleichen, sodass die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen reduziert wird, die man normalerweise benötigt, um den Spitzenverbrauch an Energie morgens und abends zu decken. „Die Gebäudestruktur und das Heizsystem werden kurzfristig als Energiespeicher in den Fernwärmenetzwerken verwendet. Zudem werden die Häuser mit neuartigen Waschmaschinen, Wäschetrocknern und Spülmaschinen ausgestattet, die mit Fernwärme betrieben werden“, erklärt Erica Bengtsson. Langfristig können so große finanzielle Vorteile erzielt werden, aber auch der Gewinn für die Umwelt ist beträchtlich. Nach vier Entwicklungsphasen in den Jahren 2011-2018 können so voraussichtlich bis zu 15.000 Tonnen Kohlendioxid pro Jahr eingespart werden. Neben den unmittelbar ökologischen Aspekten sollen im ganzheitlich angelegten Stadtentwicklungsprojekt auch andere Aspekte zum Wohlbefinden der Bewohner beitragen. So wird z.B. Wert auf eine humane, abwechslungsreiche Architektur gelegt, es gibt Fußgängerstraßen, in denen Autos und Radler nur geduldet sind, viele öffentliche Plätze, Mini-Parks und Höfe. 2013 sollen die ersten Wohnungen zum Bezug fertig stehen. Man darf gespannt sein, ob Kvillebäcken seine Visionen erfüllt und zum Vorbild für andere Stadtplaner wird. Das Hammarby-Modell

Auch das Viertel Hammarby Sjöstad in Stockholm ist eine Art Vorzeigestadt für nachhaltiges und umweltbewusstes Wohnen. Dem Modell gelingt es durch innovative, mutige Lösungen z.B. die Wiederverwendung der Haushaltsabfälle zu verbessern und die urbanen Umweltauswirkungen zu minimieren. Hammarby Sjöstad war einmal ein heruntergekommenes, schadstoffbelastetes Industriegebiet. Anfang der 1990er einigten sich die politischen Parteien im Stadtrat darauf, Hammarby Sjöstad ökologisch vorbildlich umzugestalten. Nach Abschluss des Stadtbauprojektes im Jahr 2018 werden hier in rund 11.000 Wohnungen 20.000 Menschen leben. Das Modell wurde und wird bereits nach Russland, ins Vereinigte Königreich und nach China exportiert, wo man sich für die Stadt Hohhot von Hammarby Sjöstad inspirieren ließ. Halbierung des Wasserverbrauchs Ein Teilziel besteht darin, die Bewohner dabei zu unterstützen, 50 Prozent der benötigten Energie selbst zu gewinnen: Abwasser und Haushaltsabfälle sollen zum Wärmen, zum Kühlen und zur Stromerzeugung genutzt werden. Inzwischen hat der gesamte lokale Strom ein Öko-Label, und im Gebiet werden neuartige Brennstoffzellen, Solarzellen und Solarmodule getestet. Der Wasserverbrauch soll 90 Liter pro Tag und Kopf nicht übersteigen; er soll also auf ein Niveau gebracht werden, das der Hälfte des durchschnittlichen Wasserbedarfs eines Schweden entspricht: Zum Beispiel mischen Installationen in den Armaturen Luft in das Wasser und reduzieren so das genutzte Wasservolumen. Vakuumrohre für Müll

Ein besonders signifikantes Beispiel ist das Mülltransportsystem, dass durch Vakuumrohre bestimmt wird. Die Einwohner selbst trennen ihren Müll in Papier, Biomüll und Restmüll und werfen ihn in die dafür vorgesehenen Rohre. Diese Rohre transportieren den Müll dann durch Unterdruck mit bis zu 70 km/h zu einer Sammelstelle am Rande des Häuserblocks, wo der Müll dann regelmäßig abgeholt wird. Das Rohr hat dabei meist einen Durchmesser von 30-50 cm und die maximale Transportstrecke liegt bei 500 Metern. Diese Art der Müllentsorgung bietet diverse Vorteile, wie die Vermeidung von dreckigen Plätzen, Gerüchen und Ungeziefer, aber auch die Möglichkeit des Bauens von Zufahrtsstraßen für geringere Lasten. Außerdem kann die Wiederverwertung des Mülls zentral organisiert werden; so wird das Papier recycelt, der Bio-Abfall kompostiert und der Restmüll zur Energiegewinnung verbrannt. Trotz dieser Vorteile gibt es weltweit gerade mal 500 Rohrnetze, wovon alleine 80 in der Region Stockholm zu finden sind. Schweden ist also ein Vorreiter in dieser Technologie. Bei einem Projekt, das bereits über einen so langen Zeitraum läuft, müssen Ergebnisse messbar sein. Ein Bericht, für den ein Großteil Hammarby Sjöstads untersucht wurde, kommt zu dem Schluss, dass der Stadtbereich 30 bis 40 Prozent umweltfreundlicher ist als normale Wohngebiete. Positiv — aber durchaus noch verbesserungsfähig.

 
 
 

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