Sami: Vom Wert der Anderen
- Daniel Nilsson
- 22. Feb. 2018
- 4 Min. Lesezeit

Europas größte unbeeinflusste Wildnis liegt im nördlichsten Schweden. Durch tiefe Täler, vorbei an himmelblauen Seen und schneebedeckten Bergen wandert man in Padjelanta, samisch für „das höhere Land“. Diese Region ist der größte Nationalpark des Landes, gelegen im Welterbe Laponia in der Provinz Lappland. Im Sommer geht die Sonne nie unter; der Park liegt nördlich des Polarkreises. Entlang dem Padjelantaleden, einem 140 Kilometer langen Wanderweg, findet man zahlreiche Hütten, wo man sich erholen, essen oder schlafen kann. Doch die Hütten sind nicht wie jede andere Wanderhütte, sie werden nicht von gewöhnlichen Schweden getrieben. Hier wohnen die Sami – die indigene Bevölkerung des Nordens. Sie gehörten zu den ersten Menschen, die sich im nördlichen Skandinavien niederließen. Ihre historische Heimat, Sápmi, erstreckt sich über die nördlichsten Teile Norwegens, Schwedens und Finnlands und die Kola-Halbinsel in Russland. Ursprünglich waren das finno-ugrische Volk Jäger und Sammler und lebte als Nomaden. Schon sehr früh vor mehreren tausend Jahren begannen die Sami sich jedoch dem zu widmen, mit dem sie heute oft als erstes assoziiert werden: den Rentieren. Sie domestizierten die Tiere, die immer noch sehr eng mit der samischen Kultur verknüpft sind und auch heute sind weiterhin fast ein Viertel der 20.000 schwedischen Samen mit der Rentierzucht beschäftigt.
Schon im 9. Jahrhundert etablierten die Sami Kontakt mit anderen Bevölkerungsgruppen des Nordens und trieben regelmäßigen Handel mit den Nachbarn. Aufgrund der entfernten Lage der Siedlungen blieben die Sami weitgehend unbehelligt und ihre Kultur war relativ unbeeinflusst von außen. Obwohl die Schweden schon im Mittelalter versuchten, die Sami zum christlichen Glauben zu missionieren, behielten viele die ursprüngliche schamanistisch und animistisch geprägte Religion bis ins 18. Jahrhundert. Die Schamanentrommel, wie auch die mit dem Jodler verwandte Gesangart Joik, sind beide sowohl religiöse als auch kulturelle Ausdrücke der Sami.
„Schwedifizierung“: Unterdrückung der samischen Lebensweise
Doch während Schwedens Großmachtzeit wurde Lappland, und damit auch die samischen Siedlungen, ins schwedische Reich eingegliedert. Es begann eine Periode der Unterdrückung der samischen Kultur und Rechte. Um sie besser zu kontrollieren, wurden die alten Sippenverbände der Samen in sogenannte „Lappendörfer“ eingeteilt. „Lappe“ wurde zum Schimpfwort, das abfällig benutzt wurde. Eine regelrechte Kolonisierung fand statt: Die schwedische Regierung schickte Siedler ins lappländische Inland, die die Nutzungsrechte der samischen Gebiete zugeteilt bekamen, die samische Sprache wurde im öffentlichen Raum verboten und viele samische Kinder wurden in speziellen „Nomadenschulen“ unterrichtet. Die Erfahrungen dieser „Schwedifizierung“ haben die Sami tief geprägt und werden in den letzten Jahren immer mehr Gegenstand von Literatur und Film, wie in der Krimiserie „Midnattsol“ oder zuletzt im ergreifenden Drama „Samiblut“.
Trotz der Unterdrückung haben die Samen ihre Kultur und Traditionen zu einem großen Teil bewahrt. Samisches Handwerk, Duodji, umfasst handgearbeitete Kleidungsstücke, Werkzeuge und Dekorationen. Kennzeichnend sind die praktische Funktion, die natürlichen Materialien aus Holz, Horn und Pelz und die kräftigen Farben. Vielleicht das bekannteste Beispiel des samischen Handwerkes ist der Gakti, die traditionelle Tracht. In den letzten Jahrzehnten ist ein großes Interesse für diese Kultur in Schweden entstanden, und samisches Handwerk, Rentierhaltung und Gastronomie haben einen Aufschwung erlebt. Heute ist der Tourismus eine der größten samischen Einnahmequellen, da sowohl Schweden als auch Touristen nach Lappland fahren. Die schwedische Regierung ist heute bemüht, die samische Kultur zu unterstützen. Dazu gehören Privilegien - zum Beispiel dürfen nur Sami domestizierte Rentiere halten, und in manchen Nationalpärken wie Padjelanta werden die Hütten entlang den Wanderwegen nur von Sami betrieben.
Und auch politisch findet die nordische Ursprungsbevölkerung mittlerweile Gehör. Um die kulturellen und wirtschaftlichen Interessen des samischen Volkes wahrzunehmen, werden die schwedischen Sami seit 1993 vom so genannten Sameting vertreten. Dies wirkt teils als eine autonome, gewählte Versammlung, teils als eine Verwaltungsbehörde, und jedes vierte Jahr werden die 31 Sitze gewählt.
Selbstverwaltung im Sameting
Der schwedische Staat erteilt dem Sameting jedes Jahr rund 15 Millionen Euro, der Löwenanteil fließt in die Rentierhaltung. Damit wird Pacht an private Landbesitzer, Raubtierersatz – Ersatz für die bis zu 60.000 Rentiere, die jedes Jahr von Raubtieren getötet werden – und Gehegeunterhaltung abgedeckt. Das Sameting bestimmt auch das Samischuldirektorium, das die fünf schwedischen Samischulen betreibt. Im Unterschied zu den Nomadenschulen sind diese mit der Grundschule gleichwertig, nehmen aber Rücksicht auf die samische Sprache und Kultur. Dazu können Organisationen, Institutionen und Vereine, die sich mit der samischen Kultur beschäftigen, Unterstützung vom Sameting beantragen. Gefördert werden zum Beispiel Gaaltije, ein Kulturzentrum für südsamische Kultur, Geschichte und Wirtschaft, und die ungefähr 30 Samivereine im ganzen Land, die Seminare, Kurse und Vorlesungen arrangieren.
Aufgrund fortschreitender Industrialisierung, Einwanderung vom Süden und Niederlassungen von schwedischem Unternehmen wird aber immer noch die samische Lebensweise bedroht. Die Arbeitslosigkeit ist höher unter den Sami als im nationalen Durchschnitt, da die alten Gewerbe nicht mehr so ertragreich wie früher sind. Vor allem begrenzen Bergbau, Wasserkraftwerke und Forstwirtschaft den Zugang zu Weideländern für die Rentiere. Obwohl die Mehrheit der Samen immer noch im Sápmi-Gebiet wohnt, haben viele den Umzug in den Süden gewagt. Immer mehr Sami arbeiten im Industrie- oder Servicesektor statt den traditionellen Berufen.
Die Samen können mit Stolz auf eine lange, faszinierende Geschichte blicken, mit eigenen Sprachen, Traditionen und eigener Kultur. Während langer Perioden der Geschichte mussten sie ihre Identität verteidigen. Mittlerweile gibt es ein Bewusstsein für den Wert kultureller Vielfalt, die als Zugewinn und gesamtgesellschaftliche Ressource geschätzt wird. Einfacher ausgedrückt: Auch die allermeisten Schweden wissen heute um die Bereicherung durch ihre samische Minderheit.
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Schweden in den 1930er-Jahren: Die 14-jährige Sami Elle Marja stammt aus einer Familie von Rentierzüchtern. Entsprechend der damaligen staatlichen Vorgaben muss sie ein Internat fernab der Eltern besuchen. Willensstark verbirgt
Elle Marja ihre Gefühle und bemüht sich um die Anerkennung ihrer Lehrerin, indem sie sich besser als ihre Klassenkameradinnen an die schwedische Kultur anpasst. Diskriminierung, Ausgrenzung und Misshandlung werden als grausamer Alltag für Sami in der damaligen schwedischen Gesellschaft gezeigt. Elle Marja entscheidet sich für einen
radikalen Schritt, um als Schwedin akzeptiert zu werden. Amanda Kernells herausragendes Spielfilmdebüt ist ein kluger und vielschichtiger Kommentar zu den Ungerechtigkeiten, denen die Sami seitens offizieller Institutionen ausgesetzt
waren. Ausgezeichnet mit dem Filmpreis des Europaparlaments LUX.
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