Das mobile Volk
- Erik Thyselius
- 8. Jan. 2013
- 6 Min. Lesezeit
Aus: Schweden aktuell.

Stell Dir vor, dass Du als Tourist in einer unbekannten Stadt angekommen bist. Du hast keine Ahnung, welche Hotels gut und preiswert sind, welche Restaurants Deinen Hunger stillen oder welche Sehenswürdigkeiten Du unbedingt gesehen haben musst. Aufgrund von Sprachbarrieren können Dir die Einheimischen leider nicht helfen. Und jetzt bist du müde, hast Hunger und möchtest vor allem nicht Deine kostbare Zeit durch planloses Herumirren in der Stadt verlieren. Als du endlich ein Hotel gefunden hast, ist der Service schlecht und die Kneipe, die das Personal empfahl, ist nicht besser. Was tun? Mit dem Smartphone und dem mobilen Internet sind solche Sorgen kein Problem mehr. Mit wenig Suchaufwand bekommt man Informationen über die Standorte der Hotels, Restaurants und Sehenswürdigkeiten, komplett mit Preisangebot, Öffnungszeiten und Kommentaren von anderen Besuchern. Und alles sofort! So läuft das für immer mehr Touristen. Mobiles Internet hat nicht nur das Leben für Reisende vereinfacht, sondern wird für immer mehr Menschen ein selbstverständlicher Teil des Alltags. Wie so oft, wenn es um die Akzeptanz neuer Technologien im Alltag geht, sind die Schweden dabei besonders schnell. In einem ungeheuren Tempo ist Schweden zum „mobilen Volk“ geworden. Schon in den 80er Jahren war Europas Norden weltweit führend im Mobilfunk. Damals hieß die Technik „Nordiskt mobiltelefonisystem“ (NMT), oder 1G. Viel ist passiert seit dem, nun redet man schon über die vierte Generation des Mobilfunks, 4G. Wegen Schwedens Hintergrund als Vorreiterland im Mobilfunk ist die Infrastruktur besonders gut entwickelt und hat wahrscheinlich zur verbreiteten Nutzung des mobilen Internets beigetragen. Betrachtet man die selbstverständliche Rolle, die das mobile Internet für so viele Menschen spielt, fällt es schwer, sich vorzustellen, dass diese Technik nur wenige Jahre alt ist. „Smartphones“ ermöglichen die Benutzung des Internets fast überall und die Möglichkeiten scheinen fast grenzenlos zu sein. Schweden gehört zu den Ländern in Europa, in denen die Nutzung am meisten verbreitet ist, so ein Bericht der EU-Kommission. Mehr als die Hälfte der schwedischen Bevölkerung besitzt schon ein „Smartphone“, und von diesen benutzen 75% täglich das mobile Internet. Für Deutschland sind die entsprechende Zahlen 29% beziehungsweise 53%. Mit anderen Worten: die Schweden nutzen das mobile Netz mehr als doppelt so oft wie die Deutschen. ----------------------------- Die Schweden und ihre Smartphones Nach einer Untersuchung von Google, benannt „Our Mobile Planet“, hat das Smartphone das Konsumverhalten der Schweden verändert. Das mobile Internet sei für viele Menschen ein wichtiges Werkzeug geworden, um sich über Produkte und Leistungen zu informieren. 90% sollen nämlich ihre Smartphones bereits zu diesem Zweck benutzt haben. Die Möglichkeit, sofort Rezensionen von z.B. anderen Benutzern über ein Produkt zu bekommen, hat zweifellos die Macht der Smartphone-Konsumenten verstärkt. Das mobile Internet wird auch eine immer wichtiger Werbeplattform werden, denn fast 90% alle Smartphonebenutzer nehmen der Untersuchung zufolge die Anzeigen wahr. Für die Unternehmer, die diese Gelegenheit versäumen, könnte das sehr teuer sein. ------------------------------------------ Die schwedische Appbranche

Die Appbranche Schwedens entwickelt sich im Kielwasser der neuen Geräte. Dutzende von App- Entwicklern sind in den letzen Jahren gegründet worden. Der Markt ist groß: kleine Firmen, große Konzerne und Behörden möchten eigene Apps. Schweden Aktuell hat mit zwei der führenden Anbieter gesprochen. Patrik Book und Martin Forsling, Chefs der Appentwickler Appbyrån beziehungsweise Bon Touch, berichtet über die Entwicklung der Branche während der letzen Jahre: „Als Apps ganz neu waren, bekamen wir einige Anfragen, bei denen man merkte, dass die Kunde vor allem am Nachrichtenwert interessiert waren. Heute ist es fast immer so, dass der Kunde ein konkretes Bedürfnis hat und einen genau definierten Zweck mit der App verfolgt. Die Firmen haben auch die Vorteile von so genannten ”In-house Apps“ erkannt, das sind Apps die die Arbeit an den Arbeitsplätzen intern vereinfachen“ erklärt Book. Martin Forsling ist der Meinung, dass der Entwickler- und der Kundenmarkt in nur wenigen Jahren reif geworden sind. „Jetzt gibt es Grundlagen für seriöse Entwickler wie Bon Touch, mit deutlichen Strukturen und langfristigen Verpflichtungen. Außerdem hat die Wirtschaft begonnen, langfristiger in die mobile Entwicklung zu investieren. Zuerst war der Zweck hauptsächlich Marketing, aber jetzt investiert man genau so viel, um den Kundenservice zu verbessern und die Kosten zu senken“ erzählt Forsling. Wegen der Fähigkeit Schwedens, neue Techniken schnell zu übernehmen, ist Schweden jetzt der führende Anbieter in der Appbranche geworden, sagen Book und Forsling. „Meiner Meinung nach haben wir außerdem gute Ausbildungen und gute Designer. Zwei wichtige Faktoren, würde ich sagen“, ergänzt Book. ”Schweden hat eine starke Tradition in der IT-Entwicklung und im mobilen Internet, nicht zuletzt wegen Konzernen wie Ericsson und Nokia. Dazu gibt es Firmen wie Skype, Rebtel und Spotify, die den Weg für andere Unternehmer geebnet haben“, erklärt Forsling. Auch in Zukunft bleibt es spannend, meinen beide Unternehmer: „Die Internetnutzung mit mobilen Geräten übersteigt bereits die Internetbenutzung mit stationären Rechnern. Das Appmedium ist immer noch relativ neu und die Möglichkeiten sind riesig. Alle Gebiete sind beeinflusst, von Spiel, Musik und Unterhaltung bis zu Pflege, Schule und Behörden. Wir stehen vor einer digitalen Revolution!“ erklärt Book. Forsling stimmt zu: „Der Entwicklerbedarf ist enorm, was für junge, clevere Entwickler eine vielversprechende Zukunft bedeutet. Die Geschwindigkeit in den Netzen nimmt weiter zu und die Smartphones werden immer billiger und leistungsstärker werden“, ergänzt Forsling. Er ist auch überzeugt, dass viele Menschen in Zukunft nur ein Smartphone oder Smartpad haben werden, und den üblichen Rechner verlassen. “Die Herausforderung ist, dass wir bislang noch wenige Produkte haben, die für das Smartphone „geboren“ sind und seine Möglichkeiten vollständig nutzen. Die Smartphones erreichen mehr Menschen und werden in einer ganz anderen Weise benutzt, als traditionelle Webbleistungen. Das Smartphone ist immer dabei, immer online, hat eine Videokamera usw. usw. Ich bin sicher: die wirklich aufregenden Mobilleistungen haben wir noch gar nicht gesehen!“ Die Benutzung von Apps wird zukünftig auch anders aussehen, glaubt Book: „Mit zunehmender Informationsmenge wird unsere Fähigkeit, zu sortieren und auszuwählen immer wichtiger werden. Hier glaube ich dass Apps immer komplexer werden, um uns zu helfen, unsere Entscheidungen zu treffen.“ ----------- Firmenname: Bon Touch AB Geschäftsführer: Martin Forsling Angestellte: 18 Gegründet: 2010 Sitz: Stockholm Kunden: SEB, Rebtel, .se ----------- Firmenname: AppByrån Geschäfstführer: Patrik Book Angestellte: 4 (plus Freie) Gegründet: 2010 Sitz: Malmö Kunden: (u.a) Sandvik, Malmö Symfoniorkester, Dalarna Universität ------------ Ein schwedischer Pionier: iZettle

Die Firma iZettle setzt ganz auf die Möglichkeiten des mobilen Internets. Mit Unterstützung durch Risikokapital haben die Gründer Jacob de Geer und Magnus Nilsson, beide erfahrene Unternehmer, iZettle zu einem führenden Player im Bereich des mobilen Bezahlens gemacht. Das Geschäftsmodell ist ganz einfach: Die iZettle App ermöglicht es, zusammen mit einem Kartenlesegerät, das man mit seinem Smartphone oder Smartpad verbindet, mit Karte zu bezahlen. Schnell, sicher und günstig. Es gibt keine versteckten Kosten oder teure monatliche Verträge. Der Händler werden 2,75% der Transaktionssumme berechnet. Das Umsatzlimit für die Kartenlesegeräte liegt bei 5000 € pro Tag und der Mindestbetrag pro Überweisung beträgt 1€. Zielgruppe von iZettle sind vor allem kleiner Einzelhändler, die bislang ein teures Kartenterminal mit dazu gehöriger Vertragsbindung brauchten, um Karten zu akzeptieren. Obwohl das Unternehmen erst 2010 gegründet wurde, ist man schon in allen Ländern Nordeuropas sowie in Großbritannien tätig. 75.000 Händler nutzen die Leistung. Jetzt möchte iZettle auch den deutschen Markt erobern. Das Ziel ist ambitioniert: 100.000 Kunden nach einem Jahr. Der Wettbewerb ist jedoch schon knallhart. Konkurrenten bieten ähnliche Systeme an. Deswegen dürfte die Zusammenarbeit mit der DZ Bank und der Deutschen Telekom eine große Rolle für die Zukunft iZettles spielen. Neue Kunden werden in Zusammenarbeit mit den beiden deutschen Unternehmern mit 25.000 Kartenlesern kostenlos ausgestattet. Ein Wettbewerbsvorteil liegt in der Sicherheit; iZettle benutzt immer die Chips der Karten und ermöglicht es den Kunden, ihre Transaktionen per Unterschrift zu bestätigen. Laut Vertriebsleiter Johan Bendz sei es entscheidend, von Anfang an gute Händler zu haben. „Nach unserer Erfahrung sind die richtigen Partner äußerst wichtig, wenn man in einen neuen Markt eintritt. Und mit der größten Telekomgesellschaft und einer der größten Banken zu arbeiten, ist schon toll“, erzählt Bendz. Und Gründer Jacob de Geer konstatierte selbstbewusst: „Unser größter Konkurrent ist das Bargeld“. Auf jeden Fall wird die nahe Zukunft sehr interessant für iZettle in Deutschland sein. Medien im Wandel Dank dem Smartphone hat sich auch der Konsum von Nachrichten in Schweden verändert. Jede größere Zeitungen hat ihre eigene App. Schwedische Smartphonebenutzer konsumieren immer mehr von ihren Nachrichten unterwegs, was bedeutet, dass man häufigere und kürzere Besuche in den Apps der Zeitungen macht. Aber nicht nur die Aufnahme von Nachrichten hat sich durch das mobilen Internet verändert. Die Zeitungsleser dürfen mit der Kamerafunktion des Smartphones die Rolle des Reporters spielen. Wenn etwas Besonderes passiert ist, bieten Zeitungen wie Aftonbladet und Expressen die Möglichkeit an, Bilder und Kommentare direkt auf die Homepages der Zeitungen zu laden. Der Abstand zwischen Bürgern und Politik ist durch Kommunikationskanäle wie Twitter verringert worden. Fast alle Chefredakteure und Journalisten haben Twitterkonten, wo sie Gedanken mit dem Publikum teilen. Wer möchte, kann z.B. dem Chefredakteur der größten Zeitung Schwedens Aftonbladet, Jan Helin, den ganzen Tag folgen und Meldungen an ihn schicken. Steuererklärung per Smartphone Das mobile Internet hat auch den Alltag vieler Schweden erleichtert. Bedeutende Behörden haben ihre eigene Apps entwickelt, um den Bürgerservice zu verbessern. Das schwedische Finanzamt „Skatteverket“, was übrigens ganz populär unter den Schweden ist, bietet durch seine App die Möglichkeit, die Steuererklärung direkt ans Amt zu schicken. Auch die staatliche Krankenkasse ist ein sehr gutes Vorbild. Ihre App ermöglicht z.B. Eltern, die wegen eines kranken Kindes zu Hause bleiben müssen, diese Information unverzüglich an die Krankenkasse zu melden. Und im eigenen „Konto“ kann man den Fortgang seiner Angelegenheiten bei dem Amt einsehen. Durch solchen Alltagsnutzen ist es kein Wunder, dass Privatpersonen, Kleinunternehmer und Behörden die Vorteile des mobilen Internets erkannt haben. Beim Blick in die Zukunft des mobilen Internets dürfte eines klar sein: ihre Zeit hat gerade erst begonnen!
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