top of page
Aktuelle Artikel
Empfohlene Artikel
Suche

Sprachrat gibt „ungooglebar“ auf

  • Edvard von Sydow, Peter Marx
  • 28. Mai 2013
  • 3 Min. Lesezeit

Das Erlangen sprachlicher Finesse ist ein lebenslanges Projekt – erst recht in einer Fremdsprache. Was ist guter Sprachstil? Welche Wortwahl ist (in) welcher Situation angemessen? Bedien man die Klaviatur der Grammatik richtig, trifft man die feinen Nuancen des Ausdrucks? Die Sprache ist ein Instrument, und es Bedarf täglicher Übung, es gut zu spielen. Welche Wörter darf ich überhaupt nutzen, wenn ich verstanden werden möchte? Sind in einer freien Gesellschaft im Prinzip alle Wörter verwendbar oder ist die dystopische Zukunft George Orwells von „1984“ schon Wirklichkeit geworden? Ist unser heutiges Dasein irgendwo auf dem Spektrum zwischen gut und „doppelplusgut“ zu bewerten? Um Antworten auf diese Fragen zu finden, wäre eine Suche im Internet hilfreich. Aber vielleicht sind manche Fragen und Nuancen schlicht ungooglebar – oder schwedisch ogooglebar? Dieses neue Wort hat jüngst die Gemüter bewegt. Warum? Es begann damit, dass der schwedische Sprachrat seine jährliche Liste neuer Wörter veröffentlichte. Etwa 40 neue Wörter, die anfangen in den täglichen Gebrauch überzugehen und den schwedischen Wortschatz erweitern. Ungooglebar heiße, so die Sprachforscher, dass man kein Suchergebnis mit einer Suchmaschine bekomme. Doch es gab Einwände von Google selbst; die Definition sei viel zu allgemein gehalten und schließe auch andere Suchmaschinen ein. Aus markenschutzrechtlichen Gründen forderte der Suchmaschinenriese, in der Definition das Wort Suchmaschine durch Google zu ersetzen. Der Einmischungsversuch stieß in Schweden bitter auf. Der Sprachrat warf Google vor, die schwedische Sprache kontrollieren zu wollen. „Wenn wir ‚ogooglebar‘ in unserer Sprache haben wollen, dann benutzen wir das Wort auch und geben ihm seine Bedeutung – und kein multinationaler Konzern, der Druck ausübt“, sagte die Vorsitzende des Sprachrates Ann Cederberg. Der Sprachrat wich einer möglichen weiteren Auseinandersetzung aber aus und strich zum ersten Mal in seiner Geschichte eine Wortschöpfung von seiner jährlichen Liste. „Ogooglebar“ sagen die Schweden natürlich dennoch, wenn eine Internetsuche einfach nicht weiterhilft. „Google hat eins vergessen: Die Sprache kümmert sich nicht um Markenschutz“, sagte Cederberg.

„Ungooglebar“ hat sich inzwischen weit über die Grenzen Schwedens verbreitet. Mehrere ausländische Zeitungen, darunter „Der Spiegel“, berichteten über die Auseinandersetzung in Schweden. Das Wort bekam eine deutsche Übersetzung, eine englische und französische usw. folgten. Das Phänomen löste nun eine weitere Diskussion aus. Wie sollen neu erfundene Wörter übersetzt werden? Dieses Mal war es durch die schon bekannten Prä- und Suffixe recht einfach. Doch es geschieht in der globalisierten Gesellschaft häufig, dass ein Neologismus in einer Sprache umgehend eine Übersetzung in andere Sprachen erforderlich macht. Was sich früher über einen längeren Zeitraum organisch entwickelte, duldet heute keine Zeit. Zum Beispiel ist das neue schwedische Wort hen besonders schwierig zu übersetzen. Es ist ein geschlechtsneutrales Personalpronomen, neben han (er) und hon (sie) kann jemand jetzt auch hen sein. Die Bedeutung des Worts ist ungefähr das deutsche es, aber es wird nur für Menschen verwendet. Man kann das Wort nutzen, falls man das Geschlecht eines Menschen nicht kennt, oder wenn es nicht wichtig ist. Das ist aber für Deutsche schwer zu verstehen, wo die Sprache in der Regel zwischen Maskulinum und Femininum klar trennt, wie bei Arzt und Ärztin. Früher war das auch in Schweden so, aber das ist schon einige Jahre her. Und auch im Schwedischen wird die Verwendung dieses Wortes „aus dem Sprachlabor“ diskutiert, die Meinungen der Sprachexperten, wie man es nutzen soll, gehen auseinander. Es braucht eben Zeit, bis ein Wort organisch in den Strukturen einer Sprache angekommen ist. Für Dolmetscher und Übersetzer ist das eine besondere Herausforderung: Wie wird ein Wort übersetzt, das in der Originalsprache „noch nicht ganz fertig“ ist? Wie geht man mit immer mehr englischen Einsprengseln in schwedischen Texten um? Ganz offenbar wird die Sprachentwicklung anarchischer. Die Vorbildfunktion besonders gebildeter Sprecher schwindet, die Massenpublikationen durch jedermann im Internet überwiegt in der Quantität bei weitem die durch Schriftsteller, Journalisten und Akademiker. Das publizierte Wort ist mehr und mehr das Wort des Volks, Sprachen entwickeln sich dynamischer und auch chaotischer. Einerseits verlieren Sprachregeln an Bedeutung, andererseits wird Sprache im Gegenzug oft umso stärker ein Mittel der sozialen Distinktion. Es ist spannend, die Sprachentwicklung zu beobachten. Alles ist im Fluss. Und die Zukunft ist ungooglebar.

 
 
 

Comments


Kategorien
Weitere Nordeuropa-Artikel
bottom of page