„Amazon ist eine mörderische Maschine“
- Admin
- 28. Okt. 2014
- 2 Min. Lesezeit
Lieber Herr Weyler, wir haben den Eindruck, dass es zwar bei deutschen Verlagen noch nie so viel schwedische Autoren gab wie heute – dass aber 99,8 % davon Krimis schreiben. Gibt es eigentlich noch andere Literatur aus Schweden?
Oh, es gibt eine Menge anderer schwedischer Literatur als Krimis, und zu Beginn dieses bemerkenswerten Phänomens (also der schwedischen Verbrechenswelle), gab es auch ein Interesse in Deutschland für diese Literatur. Von diesem Interesse ist nur wenig geblieben, Per Olov Enquist und einige weitere Autoren. Das ist sehr schade, aber verständlich; deutsche Verlage haben die gleichen Probleme wie wir hier, Lesern die Augen für übersetzte Literatur ohne Mord und Totschlag zu öffnen. Lesen Sie Steve Sem-Sandberg, Sara Stridsberg, Jonas Hassen Khemiri.
Der schwedische Buchmarkt wird von zwei Häusern dominiert, Bonnier und Norstedts. Stimmt das? Was hat das für Auswirkungen und was ist mit den Kleinverlagen? Ja, das ist richtig, die Verlagskonzentration ist in Schweden, wie auch in anderen skandinavischen Ländern, groß und nimmt weiter zu. Aber noch wichtiger ist, dass diese Häuser auch die Vertriebskanäle, das heißt den niedergelassenen Buchhandel (Norstedts), und den Online-Buchhandel (Bonnier) kontrollieren. Der Markt hat sich in den letzten sechs, sieben Jahren stetig nach unten entwickelt, die großen Verlage sind stark unter Druck, und das beeinflusst natürlich die Chancen der kleineren Verlage, Leser durch diese Kanäle zu erreichen. Es wird dadurch noch wichtiger, die Leser durch die literarische Öffentlichkeit zu erreichen, das heißt durch die Medien. Sie selbst betreiben seit 2007 einen eigenen Verlag, den Weylerforlag. Wie kam es dazu? Was ist Ihr Profil und, salopp gefragt, wie läuft´s? Ich habe meinen Verlag eher durch Zufall gegründet. Ich hatte ein großes Verlagshaus nach einem langen Konflikt verlassen und dachte, zurück in den Journalismus zu gehen - aber merkte, dass es zu wenige Aufträge gab. Da beschloss ich, mit Büchern weiter zu machen. Doch jetzt auf einem anderen, bescheideneren Niveau, aber auch mit viel mehr Freiheit – kein Chef! Unser Verlag hat ein kleines, aber breit gefächertes Programm mit etwa 15 Titeln im Jahr, mit schwedischer und ausländischer Belletristik (z.B. Juli Zeh, Hilary Mantel, Jón Kalman Stefánsson) und schwedischer Sachprosa, meist Politik. Das hat sich gut entwickelt. Wir haben mehr Geld eingenommen als ausgegeben und haben bislang alle Rechnungen bezahlt. Aber es ist ein knallharter Überlebenskampf. Und es wird noch schwieriger werden. In Deutschland fühlen sich Verlage und Buchhändler von zwei Entwicklungen bedroht: der Digitalisierung und der zunehmenden Marktmacht von amazon, das gerade sogar explizit mit den deutschen Bonnier-Töchtern eine Auseinandersetzung führt. Amazon gibt es nicht in Schweden – aber gibt es ähnliche Probleme? Wir haben wohl auch Probleme mit der Digitalisierung - aber nicht mit der von Büchern, sondern von allem anderen. Soll heißen: E-Bücher entwickeln sich sehr langsam hier und stellen keine Bedrohung dar. Aber die Bereitschaft der Menschen, mehr Zeit und vor allem mehr Geld für elektronische Medien aller Art zu verwenden, scheint die Bereitschaft zu reduzieren, Bücher zu kaufen und vielleicht auch generell Bücher zu lesen. Das ist eine neue, bedrohliche Entwicklung in einem Land, das bis jetzt zu den lesefreudigsten der Welt zählte. Und wenn Amazon nach Schweden kommt, wird sich wahrscheinlich alles ändern, denn das ist eine mörderische Maschine, ohne wirkliches Interesse an den Büchern, aber mit einem echten Interesse an Macht. Welche Bücher haben Ihnen zuletzt beim Lesen am meisten Freude gemacht? Haben Sie Tipps für unsere Leser? Hilary Mantels Bücher über Thomas Cromwell und Heinrich VIII haben mir nicht nur Freude, sondern auch intellektuellen Genuss bereitet. Karl-Ove Knausgårds sechs Romane in der Reihe „Mein Kampf“ (die in Deutschland aus nachvollziehbaren Gründen ganz anders heißen) sind sensationell guter Lesestoff. Und wenn man durchgerüttelt werden will: das Buch „Yahya Hassan“ des gleichnamigen dänischen Dichters ist ein Schlag in den Magen, vor dem man sich nicht wegducken kann.
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