Dreißig Jahre Warten - Der (seltsame) Immobilienmarkt in Schweden
- Therese Sörman
- 17. Dez. 2015
- 6 Min. Lesezeit
Immobilien in Schweden – da denkt man unwillkürlich an rote oder ockergelbe Häuser. Tatsächlich ist es auch die am weitesten verbreitete Wohnform, in einem kleinen Einfamilienhaus zu leben. Gut die Hälfte der Bevölkerung wohnt in einem Eigenheim – im Vergleich zu Deutschland eine sehr hohe Quote. Doch der schwedische Immobilienmarkt hat seine Besonderheiten und er scheint merkwürdigen Gesetzen zu folgen. Diese haben bei näherem Hinsehen viel mit der schwedischen Gesellschaft und ihren Idealen zu tun.

Irgendetwas jedoch läuft richtig schief. Nach einer aktuellen Umfrage des schwedischen Wohnungsamts Boverket über den Zustand des Immobilienmarktes haben 63 % der 290 Kommunen einen deutlichen Mangel an Wohnungen. Die schwedische Bevölkerung wächst kontinuierlich, doch es wird viel zu wenig gebaut. Und das betrifft nicht nur die Metropolen Stockholm, Göteborg und Malmö, sondern auch viele ländliche Kommunen. Wie kann das sein, in einem reichen Land mit viel Platz? Zur Erklärung lohnt ein Blick auf die schwedische Wohnungspolitik und die Rolle der kommunalen Wohnungsunternehmen.
Die kommunalen Wohnungsunternehmen
Der schwedische Mietwohnungsmarkt wird dominiert von gemeinnützigen Wohnungsunternehmen (Allmännyttiga bostads- bolag). Ihre Geschichte begann in den 1930er Jahren. Das Ziel des kommunalen Wohnungsbaus war es damals, gute Wohnungen ohne Gewinnstreben zu vermitteln; die Wohnungsfirmen sind auch heute noch zum größten Teil im Besitz der Kommunen. Ihr Zweck ist es, attraktive und qualitativ hochwertige Wohnungen für jede gesellschaftliche Gruppe anzubieten. Im Jahr 2014 bestand der öffentliche Wohnungsbestand aus insgesamt 824.846 Wohnungen. Die Mieten für den gesamten Mietwohnungssektor werden stark reguliert. Hier nähern wir uns dem gut gemeinten, aber nicht funktionierenden Kern des Systems: Die bruksvärdeshyra (Gebrauchswertsmiete) legt fest, dass eine Wohnung gleichen Standards überall die gleiche Miete haben muss. Dabei dürfen zwar Preisunterschiede entstehen, die auf Größe, Ausstattung und Verkehrsanbindung basieren, nicht jedoch auf der allgemeinen Attraktivität der Wohnlage. Ob es also ein schlechtes oder ein gutes Viertel ist, macht keinen Unterschied in der Mietfestsetzung. Das System regelt alle Mietpreise auf dem Markt, d.h. private Wohnungsfirmen dürfen keine höheren Preise verlangen als öffentliche Mietwohnungen. Heutzutage bedeutet das konkret, dass z.B. eine ältere Mietwohnung in Toplage in der Stockholmer Innenstadt weniger Miete kosten kann als eine neuere Wohnung in einem Vorort. Dieses System macht den schwedischen Mietwohnungsmarkt einzigartig, weil er zu 100 % kontrolliert ist. Positiv betrachtet ist es so für viele Haushalte möglich, an attraktiven Standorten wohnen zu können, die sie sich in einem freien Markt nicht leisten könnten. Der grundsätzliche Zweck ist, die Lücken zwischen Armen und Reichen zu verkleinern.
Jahrelange Wartezeiten
Die Schattenseite der guten Idee: Es gibt viel zu wenige Mietwohnungen. Man fühlt sich geradezu an sozialistische Systeme erinnert: Wer eine Mietwohnung sucht, meldet sich bei den verschiedenen kommunalen Wohnungswarteschlangen an. Die Wartezeit für eine Wohnung kann jedoch mehrere Jahre betragen, allein in Stockholm stehen 440.000 (!) Menschen in der Wohnungswarteschlange. Die durchschnittliche Wartezeit in der Region Stockholm liegt bei knapp acht Jahren, aber in der Innenstadt muss man durchschnittlich 13 Jahre warten, um eine gemeinnützige Wohnung zu erhalten. In den attraktiven Teilen der Innenstadt Stockholms kann es mehr als 20-30 Jahre dauern, bis man den Mietvertrag unterschreiben kann. Obwohl Stockholm als Extremfall gilt, existiert das Problem im ganzen Land. Auf eine Wohnung in zentraler Lage wartet man auch außerhalb der Hauptstadt mehrere Jahre. Besonders kleinere Wohnungen werden stark nachgefragt. Senioren, Studenten und junge Berufstätige suchen nach kleineren Unterkünften.
Gründe für die Wohnungsnot
Worin liegen die Gründe für den unverhältnismäßigen Wohnraummangel? In den Jahren der bürgerlichen Koalitionsregierung 2007-2014 wurden viele kommunale Mietwohnungen in Eigentumswohnungen umgewandelt. Allein in Stockholm betraf dies 26.000 Wohnungen. Landesweit haben viele Wohnungsgesellschaften solche Privatisierungen ermöglicht. Die Zahl der verfügbaren Wohnungen für die Wartenden wurde also drastisch reduziert. Gleichzeitig wird trotz der großen Nachfrage nach Mietwohnungen zu wenig gebaut: Die Bau-investitionen in Schweden sind nur halb so hoch wie in den anderen nordischen Ländern. Nur gut 4 % des Bruttoinlands-produkts wendet Schweden für Wohnungsbauinvestitionen auf. In Deutschland sind es 6 %. Das staatliche Wohnungsamt schätzt, dass in den kommenden zehn Jahren über 700.000 Wohnungen gebaut werden müssten. Es dauert oft Jahre, neue Projekte zu beginnen und die langwierigen kommunalen Planungs- prozesse in Gang zu bringen. Der Staat, die Kommunen und der Markt bedingten sich in einer unglücklichen Wechselwirkung, meint Hans Lind, Professor an der Königlich Technischen Hochschule (KTH). Baugenehmigungen etwa dauerten zu lange. „Effizientere Prozesse würden die Wohnungsversorgung flexibler machen, den Wettbewerb auf dem Bausektor fördern und Baukosten reduzieren“, ist Lind überzeugt. Das Gebrauchswertsmietsystem sei für private Investoren schlichtweg unattraktiv und bremse Investitionen in den Neubau für Mietwohnungen, weil die öffentlichen Mietwohnungspreise nicht überschritten werden dürfen. Der Wohnungsmangel ist keineswegs ein neues Phänomen in Schweden. Gegen Ende der 1950er Jahre trat ein größerer Wohnungsmangel in vielen Städten auf, sodass die Politik zwischen 1965 und 1974 beschloss, das sogenannte „Millionen-Programm“ zu lancieren: Eine Million neuer Wohnungen sollten gebaut werden, um den Bedarf an Wohnraum zu decken. Das Ergebnis waren gleichförmige Vorstädte, denn es wurden identische Hochhäuser gebaut, die im Deutschen als „Plattenbau“ bekannt wurden. Vor allem sozial schwache Gruppen der Gesellschaft lebten in den Häusern des Millionen-Projektes. Ein Problem heute ist, dass diese Häuser renovierungsbedürftig sind, und ein Lösungsansatz, diese zu verkaufen.
Droht eine Immobilienblase?
Die andere Seite der Medaille ist der Eigentumsmarkt. Im letzten Jahr stiegen die Preise für Eigentumswohnungen durchschnittlich um über 10 %, in den Großstädten Stockholm und Göteborg mussten Käufer sogar 20 % mehr zahlen. Erstmals warnte die staatliche Verwaltungsbehörde Konjunkturinstitutet (KI) im Oktober vor einer Immobilienblase. Auch der Internationale Währungsfonds (IWF) warnt vor einer globalen Überbewertung von Immobilien. Schweden soll dabei eines der Risikoländer sein. Grund für die Warnung sind die erhöhten Preise, die sich in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt haben. Von einer Spekulationsblase spricht man, wenn es auf einem regional und nutzungsspezifisch abgegrenzten Teilsegment des Immobilienmarktes zu einer deutlichen Überbewertung von Immobilien kommt. Irgendwann erreicht der Markt einen Höchstwert; dann fallen die Preise kräftig, oft in relativ kurzer Zeit. Die Effekte können dabei drastisch sein: Auch die globale Finanzkrise 2007-2008 wurde von einer Immobilienkrise in den USA ausgelöst. Nicht nur das staatliche Konjunkturinstitut und der IWF warnen. Im letzten Jahr reihte sich sogar die Europäische Union bei den Kritikern des schwedischen Wohnungsmarkts ein. Die EU warnte Schweden vor zu hohen privaten Schulden und der Ineffizienz auf dem Wohnungsmarkt. Darüber hinaus weist die Kommission darauf hin, dass Schweden mehr Wettbewerb im Bausektor fördern, die Planungsprozesse verschlanken und die Transparenz erhöhen müsse. Auch solle Baufirmen die Etablierung erleichtert werden, mahnte die Kommission. Der schwedische Immobilienmarkt sei zwar in den letzten Jahren stabil geblieben, berge aber immer das Risiko der Instabilität, so die EU. Kern der Kritik aus Brüssel: Der ineffiziente schwedische Immobilienmarkt sorge durch Verknappung für übertriebene Preise.
Trend zur Spekulation
Ein Immobilienkauf scheint in Schweden oft eine gute Investition. Das Risiko einer Blase steigt jedoch, wenn zu viele Akteure zu Spekulationszwecken kaufen. Die Zeitung Dagens Industri berichtete im September, Bauunternehmen wie Skanska und Veidekke stellten den Trend fest, dass Käufer mehr als eine Wohnung kaufen wollen – womöglich zu Spekulationszwecken. Dieses Phänomen lässt die Preise steigen, kann aber dazu führen, dass die Nachfrage überschätzt wird. Ein Preisanstieg von zehn bis 20 % im Jahr sei unrealistisch, so Dagens Industri. Dennoch sieht der Markt in Stockholm und Göteborg genau danach aus. Denn die Möglichkeit, schnelles Geld zu verdienen, besteht durchaus beim Wohnungshandel. Der Käufer muss ungefähr 10 % Anzahlung leisten, also eine kleine Kapitalinvestition; später wird die Wohnung sofort mit Gewinn verkauft. Da Schweden meist mit sehr geringer Eigen- kapitalquote ihre Immobilienfinanzieren und die Darlehen oftmals nur sehr langsam tilgen, können die niedrigen Zinsen aktuell zum Kauf verleiten. Im Falle des Platzens einer Blase würde dies aber zur Überschuldung führen, wenn etwa die Darlehenssummen den Wert der Immobilie deutlich übersteigt.
Lähmung durch Kapitalgewinnsteuer
Es gibt noch ein zusätzliches hausgemachtes Problem auf dem schwedischen Immobilienmarkt, das ihn lähmt: Wer eine Eigen- tumswohnung mit Gewinn verkauft, muss Kapitalgewinnsteuer (reavinstskatt) bezahlen. Allerdings gibt es die Möglichkeit, diese Besteuerung ganz oder teilweise aufzuschieben, wenn man gleich wieder eine neue Wohnung erwirbt. Wer aber sein Haus oder seine Wohnung verkauft, um sich zum Beispiel alters- bedingt zu verkleinern und in eine Mietwohnung oder eine kleinere Eigentumswohnung zu ziehen, kann die Gewinnsteuer nicht aufschieben. Das bedeutet insgesamt eine Stagnation auf dem Markt, da die Leute mit dem Umzug abwarten und stattdessen immer noch in nicht optimalen Häusern leben. Eltern mit erwachsenen Kindern bleiben oft in übermäßig großen Häusern, weil sie, um kleinflächiger zu wohnen, paradoxerweise zu viel zahlen müssten. So sind Bewegungs-ketten gestört, da die Reglements des Markts Menschen zur Unbeweglichkeit verleiten statt ihnen zu bedürfnisgerechten Wohnungen zu verhelfen. Ein regelrechter „Lock-in-Effekt“ entsteht für die Eigentümer. Keine Frage: die Situation ist ziemlich kompliziert und eine echte Beeinträchtigung für die Lebenssituation unzähliger Schweden. Auch für die Wirtschaft wird es zunehmend zum Problem, wenn für Mitarbeiter, auch internationale, keine Wohnungen zu finden sind. Eine wachsende Wirtschaft ist abhängig von einem funktionierenden Wohnungsmarkt. Diese Problematik sollte die Politik ernstnehmen und wie vor 60 Jahren mit Lösungen reagieren. Hoffentlich mit einem neuen Millionenprogramm – ohne Plattenbauten.
Aus "Schweden aktuell" Ausgabe 6/2015
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